Die Zwillingsmärkte: Anleihen und Aktien

Die Zwillingsmärkte: Anleihen und Aktien

Das Jahr 2022 war für die Börsen eine Herausforderung. Die Indices fielen vom Jahresbeginn an in Wellenbewegungen nach unten. Also ein typischer Bärenmarkt. Wenn man den Verlauf der Renditen anschaut, zum Beispiel der 10-Jährigen US-Staatsanleihen, sieht man die konträre Bewegung. Bis Anfangs November 2022 stiegen die Renditen kontinuierlich an.

 

SCHULDPAPIERE UND DER AKTIENMARKT

 

John Murphy beschreibt in seinem Buch „Intermarket Technical Analysis“ wie die Anleihenmärkte mit den Aktienmärkten zusammenhängen. „Der Anleihenmarkt führt normalerweise den Aktienmarkt an.“ Diese Beziehung beschränkt sich nicht nur auf langfristige Anleihen, sondern erstreckt sich auch auf Schuldtitel aller Laufzeiten (T-Bills und T-Notes). Für diesen Zusammenhang gibt es drei Gründe, die alle auf der Tatsache beruhen, dass sich die Preise der Schuldtitel in die entgegengesetzte Richtung der Zinssätze bewegen:

 

  1. Bei niedrigen Zinsen können sich Unternehmen günstig Geld leihen, um ihr Geschäft auszubauen und so ihre Aussichten zu verbessern. Anhänger der Fundamentalanalyse lieben das und sind in der Regel eher bereit, Aktien zu kaufen. Die daraus entstandene Nachfrage nach Aktien, führt zu steigenden Aktienkursen.

 

  1. Fast alle Methoden der Fundamentalanalyse diskontieren die erwarteten zukünftigen Dividenden von Aktien, um ihren „fairen“ Wert zu bestimmen. Diese Abzinsung erfolgt anhand einer Prognose der zu erwarteten Zinssätze. Niedrigere Zinssätze erhöhen den aktuellen „fairen“ Wert der Aktie und höhere Zinssätze senken ihn. Folglich gilt: Je niedriger die Zinssätze prognostiziert werden, desto günstiger (und attraktiver) erscheint eine Aktie.

 

  1. Anleger aller Art (sowohl Einzelpersonen als auch Institutionelle) suchen in der Regel nach einem zufriedenstellenden Gewinn/Verlust Verhältnis, um herauszufinden, welches Anlageinstrument die bessere Investition ist. Darüber hinaus verwenden viele Anleger eine vorab festgelegte Rendite für ihre Investitionen als Schwelle für den Wechsel zwischen den verschiedenen Märkten. Der Anleihenmarkt ist deutlich weniger riskant als der Aktienmarkt (insbesondere Staatsanleihen gelten als „risikofreie“ Anlagen). Risikoarme Wertpapiere sind attraktiver als die Investition in Aktien. Aus dem gleichen Grund sind Anleger bei niedrigen Zinsen eher bereit, ein höheres Risiko einzugehen, um eine bessere Rendite ihres Geldes zu erzielen.

 

Der vorauslaufende Markt, in diesem Fall der Anleihenmarkt zieht mit einer Verzögerung den Aktienmarkt hinter sich her. Dies ist normal, da immer gewisse Schmerzgrenzen erreicht werden müssen, um das Verhalten der Anleger zu verändern. Die Dauer der Verzögerung kann variieren und ist somit nicht statisch, sondern schwankt von Situation zu Situation. Es muss auch betont werden, dass fallende Anleihekurse ein viel stärkeres rückläufiges Signal für die Aktien darstellen als das bullische Signal, das von steigenden Anleihekursen ausgeht. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass eine überhitzte Wirtschaft allein durch die Geldpolitik beeinflusst werden kann, die Ankurbelung der Wirtschaft jedoch in der Regel sowohl eine Geld- als auch eine Fiskalpolitik erfordert. Schließlich wird, wie Murphy betont, die positive Beziehung zwischen Anleihen und Aktien in einem deflationären Umfeld zerstört: Deflation ist gut für Anleihen, aber verheerend für Aktien. In jedem Fall ist es sehr wichtig, die Auswirkungen der festverzinslichen Wertpapiere auf den Aktienmarkt zu kennen: In einem normalen, nicht deflationären Umfeld gibt der Anstieg des Anleihenmarkts ein positives Signale für den Aktienmarkt. Wenn der Anleihenmarkt fällt, sendet er negative Signale an die Aktienmärkte.

 

Die Zinsstrukturkurve und ihre Auswirkungen

 

 

Eine Linie, die die Zinssätze (Rendite) von Schuldtiteln mit gleicher Bonität, aber unterschiedlichen Fälligkeitsterminen darstellt, wird als Zinskurve bezeichnet. Nicht alle Arten von Schuldtiteln gleicher Qualität haben die gleiche Rendite und daher ist die Kurve keine gerade horizontale Linie, sondern nimmt verschiedene Formen an.

Diese Formen werden im Allgemeinen in drei Klassen eingeteilt: Normal, Flach und Invers. Normalerweise haben kurzfristige Laufzeiten eine geringere Rendite als langfristige Laufzeiten, da ein Anleger mehr Gegenleistung verlangt, je länger er sein Geld bindet (und es somit einem höheren Zeitrisiko aussetzt). Dies führt zu einer normalen Zinsstrukturkurve und ist im Allgemeinen positiv für die Wirtschaft und den Aktienmarkt.

Wenn andererseits die kurzfristigen Renditen höher sind als die längerfristigen Renditen, wird dies als Zeichen einer Konjunkturabschwächung oder Rezession gewertet, was Druck auf die Aktienmärkte ausüben kann. Inverse Kurven liegen vor, wenn zum Beispiel die Fed die kurzfristigen Zinssätze (den linken Teil der Zinskurve) angehoben hat, um die Inflation zu bekämpfen. Wenn nun die Anleger eine Rezession mit deflationären Tendenzen befürchten, versuchen sie das Geld in längerfristige Anleihen umzuschichten und drücken die Preise nach oben und damit die Renditen nach unten. Dabei sinkt der rechte Teil der Renditekurve.

Schließlich liegt eine flache Kurve vor, wenn die Renditen der Schuldtitel aller Laufzeiten mehr oder weniger gleich sind. Diese Kurve findet normalerweise beim Übergang von einer normalen Kurve zu einer inversen Kurve oder umgekehrt statt. Abbildung 1 zeigt die typischen Formen normaler, flacher und invertierter Zinskurven.

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